Rudolph Vollrath

von Helmut Rückert

Rudolph Vollrath, der Namensgeber des Ortsteils Trautheim

Im Mühltaler Ortsteil Trautheim lebten am Beginn seiner relativ  kurzen Geschichte nicht wenige ausgeprägte Individualisten – Künstler, Wissenschaftler  – die sich in Lebensstil und Herkunft von ihren Nieder-Ramstädter Mitbürgern unterschieden. Die Gründe liegen in der Art und der Besiedlung. Bevor wir uns mit einem besonders kauzigen Vertreter der frühen Siedler beschäftigen, noch ein kurzer Blick in  die Anfangsjahre unseres Ortsteils.

Mitte des 19. Jahrhunderts stand am Waldrand gegen Darmstadt zu eine kleine Holzmacherhütte, die Vorgängerin des heutigen Forsthauses Emmelinenhütte. Sonst weit und breit nur Wald und Feld. 1871 erbaute der Darmstädter Bankier Heinrich Bopp neben der Hütte ein Wohnhaus, das er aber anfänglich nur als Sommerhaus nutzte. Sein Grundstück erstreckte sich mehrere Hundert Meter längs der heutigen „Alten Darmstädter Straße“. Nach dem frühen Tod des Bankiers verkaufte seine Witwe einen Teil ihres Anwesens an das Elisabethenstift, das dort 1889 ein Erholungsheim für Diakonissen errichtete, das „Haus Elim“. Dies war die bauliche Situation an der Emmelinenhütte als ein Jahr später Rudolph Vollrath auftauchte. Der aus Apolda in Sachsen stammende Kaufmann war in seinem unruhigen Leben mit seiner zehnköpfigen Familie aus Hamburg kommend in Darmstadt gelandet und erwarb neben dem Haus Bopp ein riesiges, 10.000 qm großes Grundstück. Von den heutigen Straßen „Am Trautheim“ über „Pfingtstweidenweg“, „ In der Röde“ bis über die heutige Bundesstraße hinaus Richtung des „Hauses Elim“.

Vollrath, war ein echter Sonderling ein asketischer Individualist, kompromissloser Christ, Anhänger der Freikörperkultur, strenger Vegetarier und erklärter Antisemit. Auch sein Äußeres, mit langen Haaren, Sandalen an den Füßen passte nicht in das Bild der damaligen bürgerlich-ländlichen Gesellschaft. Sein schwieriger Charakter brachte ihn immer wieder in  Konflikt mit der Gemeinde Nieder-Ramstadt und seinen wenigen Anwohnern. So schockierte er seine unmittelbaren Nachbarn, die Diakonissinnen des Elisabetenstiftes im Haus „Elim“ mit seinen Freikörperaktivitäten. Als 1892 eine kleine Tochter verstarb, beantragte er, sie auf seinem riesigen Grundstück bestatten zu dürfen. Mit einigen strengen Auflagen wurde dies genehmigt. Die bürgerliche Gemeinde wurde aber jetzt auf den schwierigen Neubürger aufmerksam. Der nachstehende lesenswerte Schriftverkehr befindet sich im Archiv der Gemeinde Mühltal und dokumentiert die Ausdrucksweise des Verkehrs zwischen einem selbstbewussten Bürger und der obrigkeitsorientierten Gemeinde-und Kreisverwaltung.

Trautheim bei Nieder-Ramstadt den 8. Oktober 1892
Großherzogl. Kreisamt Darmstadt

Möchte ich ergebendst bitten, um die Erlaubnis, gestern an keinerlei ernsthaften Krankheiten verstorbenes, 1o Monat altes Töchterchen auf meinem Grundstück beerdigen zu dürfen. Dasselbe ist 10.000 Quadratmeter groß, ringsum eingefriedigt und gegenüber der Emmelinenhütte inmitten dem freien Felde gelegen.

Rudolph Vollrath.
Eilt

 Antwort

 Wird R.v.G Kreisgesundheitsamt Darmstadt zur gef. gutachterlichen Äußerung mitgeteilt.
Darmstadt, den 10. Oktober 1892
Gr. Kreisamt Darmstadt
Marquardt

Wir großh. Kreisamt Darmstadt mit dem Anfügen ergebenst zurückgereicht, dass der Gewährung des Gesuches sanitäre Bedenkens nicht im Wege stehen, wenn das Grab in vorschriftsmäßiger Tiefe hineinreichend, entfernt vom Brunnen angelegt wird und geschlossen ist und dass das Grundwasser an keiner Stelle die Grabessohle erreicht. Nach dem uns vorliegenden Todeszeugnis ist das Kind an Blutarmuth Atrophin (?) verstorben

(Unterschrift)

Wird grh. Bürgermeisterei Niederramstadt übersandt mit dem Anfügen, dass die Beerdigung unter dem, von dem Gr. Kreisgesundheitsamt unter aufgestellten Bedingungen genehmigt wird, sofern ortspolizeiliche Ausführungen der Beerdigung nach Maßgabe der Bedingungen des Gr. Kreisgesundheitsamtes erfüllt sind. Wollen Sie alsbald berichten

Darmstadt. 12. Oktober 1892
Gr. Kreisamt Darmstadt
(Unterschrift Marquardt)

  

Noch war der Ton moderat. Das sollte sich in den nächsten Jahren gründlich ändern.

1895 errichtete er ein repräsentatives Wohnhaus, dem er den Namen „Villa Trautheim“ gab, nach dem seltenen Vornamen seines zweitältesten Sohnes, der somit Namens­geber der kleinen Siedlung wurde. Nach Erlangung der entsprechenden Konzession eröffnete er in der Villa ein „Vegetarisches Speisehaus mit Gästezimmern“. An der Haustür soll er ein Schild angebracht haben: „Für Hunde und Juden verboten“!

Wegen nicht sachgerechter Lagerung von Petroleum bekam er ein Verfahren an den Hals. Das Verhältnis zur bürgerlichen Gemeinde war zerrüttet.  Als 1898 die „Neue Chaussee“ von Darmstadt nach Nieder-Ramstadt gebaut wurde, die heutige B 26, musste Vollrath ein Stück Gelände abgeben, nach langen juristischen Auseinander­setzungen und natürlich nur widerwillig! Erst als die Enteignung des kleinen, für den Straßenbau benötigten Geländes drohte, gab er gegen eine ordentliche Entschädigung nach.

Nach all diesen Querelen hielt es Vollrath nicht länger in Trautheim aus. Er verkaufte sein Anwesen und eröffnete in Darmstadt eine Schmiedewerkstatt. Er  wanderte etwas später nach Brasilien aus. In der langen Reihe individualistischer Bauherren des Ortsteils Trautheim war er wohl die schillerndste Gestalt, ein echtes Original. Übrigens hat sich die Eigenart mit den verschrobenen Vornamen in der Familie gehalten. Sein ältester Sohn nannte seine Kinder Arnfried Bertram Gelmar, Benno Egbert Rudolf, Ilsa Walburga Arnfrieda, Ortrud Siglind Gerlind und Harold Ortwin Teutomar. Rudolph Vollrath verstarb 1913 im Alter von 59 Jahren.